Schreyhals 46

Schreyhals 46

FC BASEL 1893 – FC SION, 14. FEBRUAR 2015

KÄPT’N PAOLO AUF HOHER SEE

Was bitte war das denn mit dem FCB im letzten halben Jahr? Im Sommer Meister, dann Abgänge, Neuzugänge, Radikalumbau, jetzt wieder Platz eins. Alles beim alten, könnte man meinen, rotblaue Glückseligkeit, 8 Punkte Vorsprung, Champions League Achtelfinale, Bier her. Aber gab es da nicht noch anderes? Den Stimmungsumschwung, die bitteren Diskussionen, die grosse Frage im September, ob der eloquente Portugiese wirklich zur Vereinsphilosophie passt, die Demontage – alles schon vergessen? Und wie soll man diesen euphorischen Sommer, den Achterbahnherbst und den goldenen November zusammenfassen und bewerten, das halbe Jahr, in dem Paulo Sousa vom offensiven Heilsbringer zum Versager zum «Star» (Titel in den lokalen Medien) wurde? Gar nicht so leicht. Der Schreyhals wagt mit diesem Artikel einen Rückblick der anderen Art. Getreu der Tradition portugiesischer Seefahrer betrachten wir den FCB im zweiten Halbjahr 2014 als Schiff auf hoher See, komplett mit Triumphfahrt, SOS und Schiffbruch. In den Hauptrollen: Admiral Bernhard, der Weitsichtige; Kapitän Paolo, der Weitgereiste; Kapitän Murat, der Frostige; Skipper Marco, der Heimatverbundene; Deckjunge Breel, der Erleuchtete; ein paar Leichtmatrosen; und mehrere zehntausend Anhänger der Fregatte Basilea.

Letzten Sommer kam es so, wie es kommen musste.

Kapitän Murat, der Frostige, hatte mit seiner Fregatte Basilea erneut die Landesmeisterschaft gewonnen, doch hatten sich zwischen ihm und seiner Crew tiefe Risse aufgetan. Murat war im Erfolg schmallippig und dünnhäutig geworden, hatte sich von seiner Mannschaft zurückgezogen und sich im Führungsstil immer mehr dem grossen Vorbild und Förderer, General Christian, dem Glatzköpfigen, angenähert. Admiral Bernhard, der Weitsichtige, war verunsichert, und Gespräche mit Skipper Marco, dem Heimatverbundenen, und Kanonier Valentin, dem Schmalbrüstigen, bewogen ihn schliesslich, Murat unter Dank für seine Leistungen und warmem Applaus mit sofortiger Wirkung von der Kommandobrücke wegzuschicken.

Die Entscheidung, wem das Prachtschiff nun anvertraut werden sollte, fiel Bernhard nicht leicht. Viele Kapitäne bewarben sich, die lokalen Handelszeitungen überboten sich mit Spekulationen, und die Leichtmatrosen warteten gespannt auf den neuen Mann auf der Brücke. Schon vor einiger Zeit war Bernhard Kapitän Paolo, der Weitgereiste, aufgefallen, der dem rotblauen Handelsschiff auf seinen Reisen in den fernen Osten mit kleineren Koggen das Leben schwer gemacht hatte. In ersten Gesprächen zeigte sich Paolo überaus beredt: er dozierte über Prozesse und Protagonisten, von der Fähigkeit, die Leistungen jedes einzelnen Matrosen mittels Datenanalyse zu maximieren, und von der Möglichkeit, für die rotblaue Armada eine neue Identität zu kreieren, die bei den Leichtmatrosen eine neue Leidenschaft entfachen und die zahlreichen Anhänger jedes Wochenende in den Heimathafen locken sollte. Bernhard war begeistert! Genau einen solchen Kapitän hatte er immer gesucht. Nur eine Frage wollte er noch stellen. „Redet ihr auch Deutsch, Kapitän?“

„Wer so weit gereist wie ich, Admiral, der lernt eure Sprache in 2 Monaten.“

Beruhigt sprach ihm Bernhard sein Vertrauen aus und nahm ihn mitsamt seiner Entourage unter Vertrag. Paolo’s erste Tage auf der Brücke waren von Neuerungen geprägt. Er ordnete an, dass sich die ganze Mannschaft morgens früh für ein gemeinsames Heringessen beim Smutje einzufinden habe und installierte einen grossen Vorhang, um die Segeleinheiten vor den Augen neugieriger Landratten zu verbergen. Auch brüskierte  er die Anhänger damit, dass er sich für gemeinsame Portraits keine Zeit nehmen und ihm vorgehaltene Schrift- oder Kleidungsstücke nicht mit seiner Unterschrift versehen wollte. Aber als die Meisterschaft begann, gewann die Basilea die ersten nationalen Regatten auf Halbmast und der erste grosse Test gegen die Fregatte Zürich wurde zur wahrhaften Triumphfahrt. Einen ersten Rückschlag gab es gegen die unerschrockene grünweisse Kogge aus Hinter-Mostindien, kommandiert von Jeff, dem Sturmfrisierten, welcher Paolo’s Schlachtplan schlau und mutig zu stören wusste.

In dieser Zeit kam es in der Crew zu einem gewissen Unmut. Paolo hatte die Eigenschaft, seine Männer scheinbar ziellos auf dem Schiff herumzukommandieren und ohne weitere Erklärungen auf Deck oder in ihre Kajüten zu beordern. Manchmal wurden sie für Manöver gebraucht, dann wieder nicht. Ausserdem schien er einheimische Matrosen nur zögerlich an Bord zu lassen, worüber Skipper Marco, der Heimatverbundene, nicht erfreut war. Dies wiederum gab bei den Landratten viel zu reden.

Kapitän Paolo gab den Handelszeitungen eloquent Auskunft, erzählte von seinem magischen Kompass, der mediterranen Leidenschaft und seinen Erfahrungen auf hoher See; als Seemann hatte er den Henkelpott, die Königstrophäe, zweimal gewonnen und er träumte davon, dies als Kapitän mit der Basilea zu wiederholen. «Darf ich Sie etwas auf Deutsch fragen?», meinte ein Schreiber der lokalen Handelszeitung. «Um meinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden, reicht es leider noch nicht», entgegnete Paolo.

Der Wettstreit mit der spanischen Armada versetzte den hehren Zielen im Frühherbst einen herben Dämpfer. Paolo hatte für diesen wichtigen Anlass eine sehr eigenartige Beflaggung des Schiffes angeordnet. Keiner der erfahrenen Seeleuten wollte einsehen, warum er gleich fünf grosse, schwere Segel hinten anbringen liess und kaum eines im vorderen Teil des Schiffes. Die Spanier hatten leichtes Spiel mit der unmanövrierbaren Fregatte und zerzausten die Basilea, so wie es ihnen beliebte. Die Crew hatte den Vergleich mit der Armada haushoch verloren und sich vor der ganzen Segelwelt blamiert. Dazu schnappte sich ausgerechnet Kapitän Paolo das Hemd von Kanonier Cristiano, dem Eitlen! Im fernen Russland jauchzte und frohlockte Kapitän Murat, der Frostige, und die Leichtmatrosen und mitgereisten Anhänger waren sprachlos; hatte ihr Kapitän den Kompass zuhause vergessen? Hatte er die Havarie mit seinen wirren Kommandos gar selber angerichtet?

Nachdem der Sturm sich gelegt hatte, trat Paolo vor die Schreiberzunft und präsentierte einen detaillierten Zahlenkatalog. Zwar wollte er seinen genauen Schlachtplan aus Angst vor Indiskretionen nicht preisgeben, dennoch sah der Kapitän seine Fregatte als heimlichen Gewinner des Wettstreits. Die Basilea hatte fast dieselbe Schlagkraft und Wasserverdrängung wie die Spanier, dies sei statistisch erwiesen. Die Strategie war also fast aufgegangen, nur hatte dies niemand bemerkt. Der Prozess müsse weitergeführt werden, auch wenn natürlich niemand sagen könne, wie lange er dauern würde. Die Anhänger blickten irritiert und fragten sich, ob dies nun wirres Seemannsgarn oder die Strategie eines wahrlich grossen Kommandanten war. Manch einer raunte gar, der neue Käpt’n sei in Wirklichkeit der portugiesische Schreiberling und Namensvetter Paolo (Coelho), so salbungsvoll und plätschernd kamen die Aussagen daher.

Zu reden gab aber auch Admiral Bernhard, der Weitsichtige, der die Kombüse UNO schliessen liess, wo die Anhänger vor und nach dem Spiel immer gerne ein Bier oder einen wärmenden Grog zu sich nahmen. In Zukunft sollte sie einzig den wohlbetuchten Direktoren der Handelsgesellschaften offen stehen, nicht mehr dem einfachen Volk. Viele runzelten die Stirn über diese Entscheidung. Die Situation entspannte sich nach einem Sieg in einem Segeltörn gegen ein abgetakeltes englisches Frachtschiff, die MS Liverpool, die Freude wurde aber von blutleeren Auftritten im Heimhafen sowie unerklärlichen Mastbrüchen in Mostindien und am Schwarzen Meer getrübt.

Der Durchbruch kam, als die lokale Handelszeitung bereits «Sousa’s Woche der Wahrheit» ausgerufen und ihn öffentlich zu demontieren begonnen hatte. Im Cup-Segelbewerb gewann man auswärts im fernen Riebliland, Deckjunge Breel, der Erleuchtete, sprang nach seinem Tor mitten hinein in die mitgereisten Anhänger, dann folgte ein Prestigesieg gegen die blauweisse Nussschale Insectum Turicum, und der hohe Sieg gegen die bulgarische Segelyacht, die Paolo in der Königsklasse Wochen zuvor noch arg geärgert hatte. Nun setzte die MS Basilea alle Segel, von den letzten 8 Rennen verlor sie nur gegen die königliche Armada, alle anderen wurden gewonnen. Nach einem verdienten Unentschieden im Hafen von Liverpool überwintert sie erneut im Luxushafen der Königsklasse, direkt neben den Prachtschiffen aus London, München, Barcelona und Paris. Die Handelszeitungen überschlugen sich mit Lob und die Leichtmatrosen waren begeistert.
Als das letzte Segel gestrichen war, gab Paolo vor der Presse ein wortreiches Fazit über sein halbjähriges Wirken auf der Brücke. Ein Mitglied der Schreiberzunft wollte nach dem ewig scheinenden Monolog etwas auf Deutsch fragen.

„Da wir uns mitten in einem intensiven, noch nicht abgeschlossenen Prozess befinden, fehlte mir für das Lernen ihrer Sprache leider die Zeit“, entgegnete der Kapitän, nickte und verschwand in die Nacht.

Während der Winterpause hatten die Anhänger viel Zeit, ihre Netze zu flicken und sich über den vergangenen Herbst auszutauschen. Viele waren begeistert; Paulo war ein Taktikfuchs und Genie, sie hatten es ja immer gesagt. Andere waren skeptischer und fragten sich, was im stürmischen Oktober passiert war, sodass der Kapitän seine wirren Rotationskommandos aufgab und einer Stammformation sein Vertrauen aussprach? Welche Rolle spielte Marco, der Skipper? Oder hatte Bernhard, der Weitsichtige, eingegriffen und ein Machtwort gesprochen? Und wie lange würde Kapitän Paulo bei all seinem Erfolg auf der Brücke stehen, wo er doch schon mit dem Posten des lusitanischen Flottenchefs geliebäugelt hatte? Beim Klabautermann, jetzt nahmen die Diskussionen in den Hafenkneipen aber so richtig Fahrt auf. Der graue und kalte Winter verging im Flug.

Also, wohin segeln wir mit Käpt’n Paulo im Frühjahr 2015? Versteht er es, seine Leichtmatrosen bei Laune zu halten und den Anhängern der Fregatte in der Tradition des Basler Segelsports volksnah zu begegnen? Wie würden die Leichtmatrosen reagieren, falls es einen stürmischen April geben sollte? Werden wir im Juni gemeinsam in den ruhigen Hafen segeln und in einer rauschenden Nacht die Trophäe emporheben dürfen? Und wenn ja, wird Paulo mit seiner Entourage zu einer grösseren Handelsflotte weiterziehen?
Gerne würde der Schreyhals das Geheimnis lüften … aber wie hat uns ein alter Seemann vor vielen Jahren in einer düsteren Hafenspelunke von Porto prophezeit: «Se você estiver num processo importante, não deve temer o futuro.»

«Wenn du dich in einem wichtigen Prozess befindest, dann darf dich die Zukunft nicht schrecken»