Schreyhals 20

Schreyhals 20

30. AUGUSCHT 2009, FC BASEL – BSC Young Boys

Ivan der Grosse

Neo-Marxist, Spassvogel, intellektueller Fussballer, aber auch Sturheit sowie einen latenten Hang zum Moralapostel – diese und andere Attribute assoziiert man mit Ivan Ergic, welcher in seiner Zeit in Rotblau die Massen in gleichem Masse elektrisiert, polarisiert und fasziniert hat.

Herkunft, Werdegang & Prägung

Geboren im Januar 1981 im ehemaligen Jugoslawien (Sibenik, heute Kroatien). Im Jahre 1991, als Ivan zehn Jahre alt war, brach der Krieg auf dem Balkan aus, und seine Familie musste flüchten – zunächst nach Belgrad. Als die Situation auch dort untragbar wurde, zog die Familie im Jahre 1996 nach Australien. Von seinen Eltern wurde er als Jugoslawe erzogen, was seiner Meinung nach einen entscheidenden Einfluss auf seine Lebenseinstellung hatte: «Mein Vater hat mir immer von den Vorteilen des Sozialismus bzw. des Marxismus erzählt. Er hat nicht alles an diesem System geschätzt, aber er hat erkannt, was Geld oder Kapital aus einem Menschen machen kann.»
Seine Gedanken bekräftigt er dadurch, dass er sowohl den Kapitalismus als auch den Kommunismus persönlich erlebt hat, worauf auch seine Weltanschauung aufgebaut ist: «Ich habe in einem kommunistischen Land gelebt, ich hab in Australien gelebt. Daraus habe ich meine Weltanschauung aufgebaut; es ist keine theoretische Sache.» Auch in Australien, wo der Fussball ein Randsportartendasein fristet, spielte Ivan munter weiter und liess sich von seinem Traum und Ziel, Profifussballer zu werden, nicht abbringen, obwohl er dort einige Tiefschläge einzustecken hatte.
Vom australischen Sportinstitut AIS, wo er seine schulische und fussballerische Ausbildung genoss, wechselte er im Jahre 1998 zu Perth Glory.

«Mein Vater und ich realisierten, dass wir nur uns selbst vertrauen konnten, nachdem wir erkannten, wie unser angeblicher Berater sich in einen Interessenvertreter anderer Beteiligter verwandelte.»

Nach einem Jahr, wo er massgeblichen Anteil am zweiten Schlussrang des Klubs hatte, wurde der talentierte Mittelfeldspieler von Juventus Turin unter Vertrag genommen.

Werte, Ideale & Kritik

Ivan blickt kritisch auf diese Zeit zurück, in welcher er erstmals mit den negativen Auswüchsen des Fussballs konfrontiert wurde. «Mich haben meine Erlebnisse als naiver Teenager sehr geprägt, als ich mich aus Angst und Respekt von einem Grossklub wie Juventus Turin sehr leicht verführen liess von listigen Wolfsmenschen und allen beteiligten Haien. Erst mit der Zeit merkte ich, wie ein grosser Klubname auch als Verführungsmittel eingesetzt wird.» Ebenfalls kritisiert er im Verlaufe seiner Karriere die Rolle der Berater: «Mein Vater und ich realisierten, dass wir nur uns selbst vertrauen konnten, nachdem wir erkannten, wie unser angeblicher Berater sich in einen Interessenvertreter anderer Beteiligter verwandelte.»
In dieser Zeit stellte Ivan fest, dass der Fussball ganz anders ist, als er sich dies noch als Kind ausgemalt hatte. Fantasie und Kreativität waren im Profifussball, im Gegensatz zum Fussball auf der Strasse, kaum gefragt. Aggressivität und Härte bestimmten das Tagesgeschäft, zwei Eigenschaften die sehr eng mit der Idee des Kapitalismus zusammenhängen und aufzeigen, dass es im Fussball um sehr viel Geld geht. «Fussball ist ein knallhartes Geschäft. Ich war naiv. Ich erkannte es, aber ich habe es nie akzeptiert. (…). Ein faires Spiel ist mir wichtiger als der Erfolg. Das ist mein persönlicher revolutionärer Gedanke.» In diesem Zusammenhang betont er stets, dass Aggressivität nichts mit Kampf und Einsatzwille zu tun hat.

Champion & Erfolg

Wir erinnern uns gerne an den Spieler Ergic, an die Leichtigkeit seiner Dribblings, an die spielerische Art seiner Vorstösse, an die Spritzigkeit und Geschwindigkeit, die sein Spiel prägten als er nach der üblichen grossschen Anlaufzeit endlich Mal spielen durfte. Diese Lockerheit, die den FCB bis zu seinem ersten Meistertitel der Neuzeit und dem Erreichen der Champions League prägten. Dann folgte die schwere Zeit aus der ein gereifter, wenn auch nicht mehr ganz so spritziger Ergic hervorging, der massgeblichen Anteil an der “Rasenmeisterschaft” 2007 und dem Double 2008 hatte, der mit wichtigen Toren den FCB in die Champions League führte.
Doch diese Erfolge täuschten auch über eine spielerische Entwicklung hinweg, die dem geschulten Auge schon länger ersichtlich war und dem “spielenden Fussballer” Ergic zunehmend Mühe bereitete, was er auch immer wie mehr kundtat. Nachvollziehbar, das er seine Vertragsverlängerung von einer Rückkehr der Spielkultur nach Basel abhängig machte und daher nicht bereit war frühzeitig zu verlängern. Tragisch, das wir mit ihm den Spieler mit dem Auge für Mitspieler und guten Pass verloren und nicht annähernd gleichwertig ersetzten.

Kultstatus, Ivan & Basel

Spieler kommen und gehen, zumindest die Meisten. Nicht so Ivan. Satte 9 Jahre hat Ivan in Basel verbracht, in welchen er sich das rotblaue Trikot 282 mal überstreifte. Aber er war nicht nur Spieler, Captain und Vorbild auf dem Platz, sondern vielmehr auch Identifikationsfigur und Bindeglied zwischen Fans und Verein. Als einer der wenigen Spieler verstand er es, einen Draht zum aktiven Teil der Muttenzerkurve zu pflegen. Unvergessen seine Fahrt im Extrazug nach Thun oder seine Besuche als Fan in der Kurve, sein Vorwort auf der MK-CD oder im Choreo-Buch. Für diese menschlichen und sportlichen Verdienste gebührt Ivan 1893 mal Dank!
Seine offene, zuvorkommende Art als Person mit einer eigenen, gefestigten Meinung, die er auch nie scheute offen darzulegen, hat ihm sicher nicht nur Befürworter eingebracht, jedoch macht ihn erst dies zu einem spannenden und achtunggebietenden Zeitgenossen.
«Am Schluss ist nicht das Geld wichtig, sondern was du als Mensch machst. Deine Taten müssen mit deinen Worten übereinstimmen. Als Fussballer steht man in der Öffentlichkeit. Man ist automatisch eine soziale und auch moralische Referenz.»