Schreyhals 38
10. FEBRUAR 2013, FC BASEL 1893 – FC Sion
Der Geist des Ortes
Die Geschichte des Landhofs ist beeindruckend und einmalig, 120 Jahre Sportgeschichte prägen diesen einzigartigen Ort. Ein Ort, welcher für Anwohner und andere Einheimische kaum mehr wegzudenken ist. Ein wichtiger Ort der Ruhe und Erholung. Doch was geschieht nun mit dem ersten Fussballstadion der Schweiz und ehemaligen Heimstätte des FC Basel?
Ich stehe vor dem Fussballplatz des Landhofs, es ist Mitte Dezember, windig, kalt, es dämmert bereits, bald wird es Nacht. Der Wind bläst durch das Fussballstadion, er hallt durch die alte Tribüne, deren beste Tage eindeutig viele Jahre zurückliegen. Die ehemalige Stehrampe überwuchert von einem Mantel verschiedenster Pflanzen der heimischen Flora, die alte Matchuhr fast ganz verdeckt und unsichtbar.
Doch plötzlich sehe ich ein Licht, es wird immer heller, es erscheinen Figuren aus allen Richtungen. Ein paar junge Männer bewegen sich, es scheint, als ob sie sich mit etwas beschäftigen würden, ich erkenne zwei Fussbälle. Doch die Art ihrer Kleidung und diese Fussbälle, diese Leute stammen nicht aus unserer Zeit. Ein starker Windstoss, es rasen mehrere Radfahrer vorbei, es scheint, als ob sie ein Rennen austragen. Doch so schnell wie sie kommen, verschwinden sie auch wieder, der Wind trägt sie davon.
Es bleibt nicht lange dunkel, ein neues Szenario hat sich vor mir eingefunden. Mehrere Männer befinden sich auf dem Feld, ein Ball fliegt quer über den Platz in Richtung Tor. Eine Masse von Menschen feuert die Männer tobend an. Die eine Hälfte der Männer trägt ein Kreuz auf der Brust, sie spielen gegen ihren nordöstlichen Nachbarn. Und schon sind sie weg. Wieder trifft mein Blick etwas Neues. Wieder wird Fussball gespielt, das erkenne ich sofort. Die rot-blauen Spieler werden von einer Mannschaft mit schwarz-weiss gestreiften Trikots herausgefordert, ihre Rufe sind auf Englisch.
Aus dem Nichts rennen ein paar Männer vorbei, es sieht nach Leichtathletik aus. Es spielt sich alles so schnell vor mir ab, ich kann dem Geschehen nur schwer folgen. Kaum sind die Leichtathleten vorbei gerannt, übernimmt das Schauspiel des Fussballs wieder die Bühne des Landhofs. Doch bevor ich mir ein besseres Bild von der nächtlichen Fata Morgana machen kann, wird es wieder dunkel, die Figuren sind weg, es beginnt zu regnen. Ich bin wieder alleine.
Nachdem das Stadion Landhof sportlich über Jahre kaum mehr für Schlagzeilen sorgte, erhielt es einen neuen Platz auf der politischen Agenda. Hier ein Rückblick auf die Vorkommnisse jüngerer Zeit rund um dieses Areal:
Im Jahr 2003 entschied man nach einem zuvor lancierten Ideenwettbewerb, den Landhof mit Wohnblöcken zu überbauen. Dieses Vorhaben wurde dann mit der Einreichung der Volksinitiative «Der Landhof bleibt grün», die den Landhof zur Grünzone erklären sollte, zu verhindern versucht. Viele FCB-Fans beteiligten sich am Abstimmungskampf und leisteten ihren Anteil an diesen wichtigen politischen Sieg. Das Stimmvolk wies im März 2010 das Siegerprojekt des Ideenwettbewerbs erfreulicherweise an der Urne ab und der Landhof wurde vorerst von den Baggern verschont.
Als Folge dieses positiven Ergebnisses kam es zu einer Informationsveranstaltung, welche sich an alle interessierten Gruppen, Vereine, Anwohner und sonstigen Nutzer des Landhofes richtete. Daraus entstand eine Begleitgruppe, welche sich an regelmässig stattfindenden Sitzungen mit der Zwischennutzung und Zukunft des «Ländi» beschäftigte. Im Verlauf der Diskussionen im kleinen Kreis stellten die teilnehmenden FCB-Fans jedoch bald fest, dass die Mehrheit der Begleitgruppe andere Vorstellungen über die Zukunft des Landhofs als Fussballstadion hatten. Die Bedürfnisse der Landhofnutzer hätten sich verändert, und diese veränderten Bedürfnisse könne das Fussballstadion offensichtlich nicht erfüllen. Bei der Debatte prallten verschiedene Interessen und Wünsche aufeinander. Dabei wurde ersichtlich, dass nicht alle Vorstellungen berücksichtig werden können. Nach fast zwei Jahren interner Diskussionen lancierte die Stadtgärtnerei wie geplant im vierten Quartal 2012 einen international ausgeschriebenen, anonymen Architekturwettbewerb, der über die Zukunft der Kleinbasler Grünzone entscheiden sollte. Die Vorgaben und Kriterien der Neugestaltung wurden sehr abstrakt formuliert und lassen den Teilnehmenden einen grossen Gestaltungsraum für ihre Projekte.
Vom Erhalt des Tribünengebäudes und der gesamten Rasenfläche wird den Projektteams im Wettbewerbsprogramm abgeraten, die alten Kassahäuschen sollten ebenfalls neuen Bauten weichen. Im Grossen und Ganzen heisst dies, dass das Fussballstadion Landhof, wie man es heute kennt, leider nicht mehr bestehen würde.
Ich stehe nun da im Regen und entscheide mich, die Treppe hoch auf die Tribüne zu laufen und nehme auf einer der alten Holzbänke platz. Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Ich denke an all das zurück, was den Landhof zu dem machte, was er heute ist. Die jungen Männer, welche die runden ledrigen Bälle anno 1893 herumkickten. Die Radfahrer aus dem Jahr 1895, die mit hoher Geschwindigkeit vorbeirasten. Die Olympioniken aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, welche ihre Schnelligkeit und Kraft untereinander massen.
Ein von Wohnhäusern umgebener Fussballplatz mit von Sträuchern überwucherten Stehrampen, die nur noch erahnen lassen, dass hier in längst vergangenen Zeiten ein Stadion stand.
Die vielen Fussballer, sei es die Nationalmannschaftsspieler oder FCB-Spieler, welche hier so viele Pässe spielten, Tore erzielten und grosse Mannschaften herausforderten, etwa die deutsche Nationalmannschaft oder Newcastle United. Und an die tausenden sportbegeisterten Menschen, welche hierhin pilgerten.
Sie alle waren einmal hier, doch die Zeit der grossen Sportveranstaltungen auf dem Landhof ist vorbei. Wird der Landhof abgerissen, verschwindet nicht nur die grüne Oase im Kleinbasel. Es verschwindet auch ein Ort, wie er wohl in Europa einmalig sein dürfte. Ein von Wohnhäusern umgebener Fussballplatz mit von Sträuchern überwucherten Stehrampen, die nur noch erahnen lassen, dass hier in längst vergangenen Zeiten ein Stadion stand. Ein Stadion, in dem nicht nur der FCB zum ersten Mal trainierte, sondern sogar olympische Spiele stattgefunden haben.
Der Wind bläst mir ins Gesicht, es regnet immer stärker, ich bin nass und mir ist kalt, doch ich fühle mich nicht alleine. Der Geist dieses Ortes lebt, ich spüre seine Anwesenheit, er ist bei mir. Doch ob ich ihn auch in Zukunft spüren werde, und ob er weiterleben wird, darüber wird bald entschieden.