Schreyhals 9

Schreyhals 9

Sonntag, 18.12.2005, FC Basel 1893 – FC Zürich

«Es war ein richtiges Signal»

Vor gut einem Jahr nahm die Zürcher Polizei in Zürich-Altstetten 428 FCB Fans fest. Die Verhaftungsaktion schlug riesige Wellen. Zurzeit laufen diverse Verfahren gegen die Polizei und einzelne Beamte. Marco Cortesi ist Sprecher der Zürcher Stadtpolizei. Im Interview mit dem Schreyhals schildert er die Haltung der Zürcher Polizei ein Jahr nach der Aktion.

Marco Cortesi, zu welchem Thema mussten Sie in den letzten 12 Monaten am Häufigsten Auskunft geben?

Es ist tatsächlich so, dass ich während den vergangenen 12 Monaten sehr häufig über die Polizeiaktion vom 5.12. 2005 in Zürich-Altstetten Auskunft geben musste. Wie viele Interviews ich dazu gegeben habe, kann ich aber nicht genau sagen, weil ich pro Jahr mehrere hundert Medienanfragen beantworte.

Kommt es vor, dass Ihre persönliche Meinung nicht mit derjenigen der Zürcher Stadtpolizei übereinstimmt?

Selbstverständlich ist das in den vergangenen 12 Jahren auch schon vorgekommen, aber ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich die Meinung des Kommandanten in 99% aller Fälle teile. Ich bin persönlich auch der Ansicht, dass die Stadtpolizei Zürich am 5. Dezember 2004 richtig und verhältnismässig gehandelt hat. Es hat sich auch gezeigt, dass es seither zu keinen weiteren nennenswerten Ausschreitungen oder Sachbeschädigungen im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen gekommen ist. Ich bin auch überzeugt, dass dies im Hinblick auf die Europameisterschaft 2008 ein richtiges und wichtiges Signal war. Die Stadtpolizei Zürich hat von der Bevölkerung einen klaren Auftrag für Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu sorgen und diesen Auftrag werden wir konsequent umsetzen.

Sie werden als «Sprachrohr» einer staatlichen Organisation sicher häufig auch zur Zielscheibe der Kritik. Wie gehen Sie damit um?

Mit sachlicher Kritik habe ich grundsätzlich keinerlei Probleme. Im Gegenteil ich kann auch sehr gut mit anderen Meinungen leben und habe meine Ansichten auf Grund von anderen Sichtweisen auch schon öfters revidiert.

Am 5. Dezember 2005 jährte sich die Verhaftungsaktion gegen Basler Fussballfans im Bahnhof Altstetten. Wie beurteilt die Zürcher Stadtpolizei heute die damaligen Vorkommnisse?

Die Haltung der Stadtpolizei Zürich betreffend die Ereignisse beim Bahnhof Altstetten ist unverändert. Sie ist nach wie vor der Meinung richtig und verhältnismässig gehandelt zu haben.

In den ersten Medienmitteilungen sprach die Zürcher Stadtpolizei von Ausschreitungen, welche die Verhaftungsaktion auslösten. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass gegen mindestens 407 Fans kein Verfahren eröffnet wird. Wie erklärt die Zürcher Polizei diese Diskrepanz?

Die erste Medienmitteilung wurde am 5. Dezember 2004 um 16:46 Uhr verschickt. Der Titel lautete: „Umfassende Personenkontrollen im Vorfeld des Fussballspiels GC-FCB“. Eine zweite Meldung wurde am 5. Dezember 2004 um 20:35 Uhr an die Medien versandt mit dem Titel: „Konsequentes Vorgehen der Polizei verhindert Ausschreitungen am Fussballspiel GC-FCB“. Es ging bei der Polizeiaktion also darum, Ausschreitungen und Sachbeschädigungen zu verhindern.
Zwischen festgestellten Tatsachen und Verurteilungen besteht immer ein breiter Spielraum. Verurteilungen gibt es nur, wenn die Taten zweifelsfrei einzelnen Tätern konkret nachgewiesen werden können. Für uns steht fest, dass die von der Polizei ursprünglich geplante Personenkontrolle vor Ort wegen Gewalttätigkeiten aus den Reihen der Fans nicht durchgeführt werden konnte. Die Polizei war dadurch gezwungen, einen Grossteil der Fans vorübergehend festzunehmen und die Kontrolle in der Polizeikaserne durchzuführen. Die Problematik liegt darin, dass es sehr schwierig ist, die Gewalttaten einzelnen Personen zuzuordnen. Aus Erfahrung wissen wir, dass für eine Verurteilung richtigerweise hohe Beweisanforderungen gestellt werden.

Wie beurteilen Sie nachträglich den Erfolg dieser Aktion? Würde die Zürcher Stadtpolizei heute immer noch gleich handeln?

Die Stadtpolizei ist gemäss Paragraf 72 A GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) und Paragraf 22 StPO verpflichtet, Delikten, die in ihrer Gegenwart verübt werden, nachzugehen, bzw. die notwendigen Ermittlungen in beanzeigten Fällen zu tätigen. Aufgrund dessen war die Handlung rechtmässig. Gewisse Feinkorrekturen würden bei einem nächsten Mal bestimmt vorgenommen. Beispielsweise eine Verhaftstrasse, Bahnhoflautsprecher benutzen, etc.

Fanaussagen und zahlreiche Fotos legen die Vermutung nahe, dass es im Umfeld der Partie GC gegen Basel vom 5. Dezember 2004 vor und nach dem Spiel zu Ausschreitungen gekommen ist (im Niederdorf und vor dem Basler Fansektor, wo Basler Fans von Zürcher Anhängern angegriffen wurden). Die Zürcher Polizei hat zu diesen Aussagen nie Stellung genommen, beziehungsweise gesagt, dass es aufgrund der Verhaftungsaktion zu keinen Ausschreitungen gekommen sei. Ist das noch heute die Meinung der Polizei? Sind die Fanaussagen unwahr?

Es kam zu keinen Ausschreitungen, die mit denjenigen im Oktober 2004 in Zürich zu vergleichen sind (FCZ – Basel). Eine hundertprzentige Sicherheit kann man aber nie gewähren. Im Zürcher Niederdorf gerieten Hooligans im Vorfeld des Spiels aneinander und wurden in der Folge auch sofort von der Polizei getrennt.

Die Verhaftungsaktion schlug – zumindest in Basel – hohe Wellen. Die Fans protestierten mit einem Spielboykott und haben eine Anwältin eingeschaltet, die Genugtuungsforderungen stellt. Wie kommentiert die Zürcher Polizei diese Reaktionen?

Jedermann hat das Recht, Forderungen zu stellen und einen Anwalt einzuschalten. Wer am Schluss im Recht ist, wird sich weisen, beziehungsweise wird auch vom Ausgang des Strafverfahrens gegen Zürcher Stadtpolizisten abhängen.

Hält die Zürcher Polizei diese Genugtuungsforderungen von Fans, gegen die kein Verfahren eröffnet wird, für angebracht? (Wenigstens die Rückzahlung des Zug- und des Matchbillets)

Ich kann und will das nicht kommentieren, weil ich mich damit unzulässigerweise in laufende Vefahren einmischen würde.

Noch im Juli gab die Polizei bekannt, dass rund 350 der verhafteten Fans als „erlebnisorientiert“ zu klassifizieren wären. Heute weiss man, dass gegen mindestens 407 Fans kein Verfahren eröffnet wird. Wie erklärt die Zürcher Polizei diese Widersprüchlichkeit?

Wir sind nach wie vor der Meinung, dass diese Zahlen so stimmen, ungeachtet dessen, ob ein Strafverfahren eröffnet wird oder nicht. Erlebnisorientiert ist eine Einschätzung von Szenekennern. Die Straferöffnung ist strafprozessualer Natur. Ob ein Fan erlebnisorientiert ist und ob ihm in späteren Strafuntersuchungen konkret Delikte nachgewiesen werden können, sind zwei gänzlich verschiedene Gesichtspunkte.

Wie ist es zur Schaffung dieser neuen Kategorie «erlebnisorientiert» gekommen? Wer ist «erlebnisorientiert»?

Das sind Fans die rücksichtslos und enthemmt gegen gegnerische normale Fans und Sicherheitskräfte (Polizei und private Sicherheitsdienste) vorgehen. In der Regel sind sie vermummt, scheuen keine Gewalt und verüben wahllos Sachbeschädigungen und Vandalismus an öffentlichen und privaten Einrichtungen.

Löscht die Polizei die Daten der Fans, gegen die kein Strafverfahren eröffnet wird?

Das hängt davon ab wie der Stadtrat von Zürich in den entsprechenden Verfahren entscheidet, weil er betreffend Datenerhebung und Bearbeitung Rechtsmittelinstanz ist.

Ist die Zürcher Stadtpolizei mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft gegen 407 Fans kein Strafverfahren zu eröffnen überhaupt einverstanden?

Die Stadtpolizei Zürich hat abgesehen von Fällen von Sachbeschädigungen zu ihrem Nachteil strafprozessual keine Parteistellung und ist damit nicht rechtsmittellegitimiert. Es kann aber festgehalten werden, dass bis anhin keine gemäss StPO konforme Verfahrenserledigung vorliegt, mithin die einzelnen geschädigten Polizisten ihre Parteirechte nicht wahrnehmen können.

Befürchten Sie, dass die Aktion für Mitglieder des Kaders nachträgliche Folgen haben könnte? Immerhin laufen zahlreiche Strafverfahren gegen die Polizei?

Die Stapo Zürich ist als Institution nicht Partei im Strafverfahren und hat somit keine Kenntnisse über den derzeitigen Verfahrensstand. Wir wollen das Verfahren abwarten und uns erst danach äussern.

Hat die Zürcher Polizei bei sich selber fehlbares Verhalten festgestellt?

Angaben über Fehlverhalten eigener Leute liegen uns nicht vor.

Wird sich die Polizei bei den Fans, die verhaftet wurden, aber gegen die kein Verfahren eröffnet wird, entschuldigen?

Die Rechtmässigkeit der Aktion wird nicht im Verfahren gegen die kontrollierten Fans entschieden sondern im Verfahren gegen die einzelnen Polizisten. Die Polizeivorsteherin Frau Esther Maurer hat bereits im Januar 2005 die betroffenen Jugendlichen mit ihren Eltern zu einem persönlichen Gespräch nach Zürich eingeladen.