Schreyhals 6

Schreyhals 6

Samstag, 30.07.2005, FC Basel 1893 – FC Zürich

Hooligans, überall Hooligans

Hinter jeder Ecke lauern sie auf ihr nächstes Opfer. Sie sind bösartig und gemein, prügeln sich und fahren manchmal sogar mit dem Zug an die Auswärtsspiele ihres Vereins. Die Rede ist von den «Fans», den Chaoten, oder – wie sie manche auch nennen – den Hooligans. Ein Ausflug in eine Welt zwischen vermeintlicher Anarchie und Panikmacherei.
Manchmal könnte in einem das Gefühl aufkommen, der junge Praktikant, der bei der Schweizer Depeschen Agentur (sda) am Sonntagabend gelegentlich Dienst schiebt, wartet geradezu auf eine Meldung aus Zürich oder Bern oder einer anderen Stadt, in welcher der FC Basel zu Gast ist. Und sei es nur ein von Fans umgekippter Abfalleimer.

Sex ist out. Basel sells.

«Gewalt» verkauft sich gut. Und Basel wurde mittlerweile zu einem Synonym für Gewalt gemacht. Sicherheitswahn trifft auf Sensationsgeilheit. Panikmache auf die öffentliche Paranoia. Ein Schlaraffenland für jeden Journalisten.

Sicherheitswahn

Woher dieser urschweizerische Sicherheitswahn kommt, können wir an dieser Stelle nicht erörtern. Dazu bedürfte es einer intensiven soziologischen Analyse. Vielleicht geht’s uns auch einfach zu gut, sodass wir uns regelrecht nach Problemen sehnen, an denen wir uns reiben können. Dass dieser Sicherheitswahn völlig übertrieben und jenseits jeder Relation ist, vermögen wir hingegen zu beurteilen. Von erwarteten Toten und Verletzten berichtete das Schweizer Fernsehen nach den – zugegeben – unsäglichen Fackelwürfen auf Milan-Torhüter Dida. Doch wo sind sie die Toten und Verletzten? Wo sind sie die Horden von menschenfressenden und fackelwerfenden Hooligans? Und wie kommt überhaupt jemand darauf, aufgrund eines einzigen Vorfalles in einem anderen Land eine derartige Prognose abzugeben?

Hooligan gleich Gewalttäter?

«Im Hinblick auf die Europameisterschaft 2008…» Wer kennt ihn noch nicht, diesen Satz? Er dient zur Einleitung für verschiedenste Forderungen. Eine Hooligandatenbank beispielsweise. Oder ein personalisiertes Ticketingsystem. Der öffentliche Sicherheitswahn und die geheimen Gelüste einiger uniformierter Kontrollfanatiker ergänzen sich hier wunderbar. 300 bis 400 Hooligans gäbe es in der Schweiz. So teilen es Christoph Vögeli, Hooliganexperte der Stadtpolizei Zürich, und seine Berufskollegen jedem mit, der es hören will. 300 bis 400. Man scheint sie zu kennen. Warum dann also eine Hooligandatenbank? Um die ohnehin schon bekannten Gewalttäter nochmals zu fichieren. Oder steckt noch eine andere Absicht dahinter? Ist Hooligan etwa doch nicht gleich Gewalttäter?

Düstere Zukunft

«Gewalttäter Sport» heisst das deutsche Vorbild der noch zu schaffenden Hooligandatenbank. Der Blick über die Grenze lohnt sich. Wenn uns in der Schweiz Ähnliches bevorsteht, dann Gute Nacht Freiheitsrechte. 12‘000 Einträge zählt die deutsche Datei. Nur einen verschwindend kleinen Teil davon dürften «echte Gewalttäter» darstellen. So ist beispielsweise auch ein Stuttgarter Familienvater notiert. Er wollte die Freiburger Polizei anzeigen, weil diese seinem 16jährigen Sohn bei der Eingangskontrolle das Nasenbein brach. Nun gilt er als Gewalttäter. Der Sohn übrigens auch, versteht sich. Soll so eine Praxis auch bald in der schönen Schweiz Einzug erhalten? Aus menschenrechtlicher Sicht kann man diese Frage nur mit einem entschiedenen Nein beantworten. Doch leider sieht es ganz so aus, als würden sich die Kontrollfetischisten durchsetzen. Mit freundlicher Unterstützung des öffentlichen Sicherheitswahns. Und im Hinblick auf… Sie wissen schon.

Richtige Mittel finden

Verstehen Sie die eben gelesenen Zeilen bitte nicht falsch. Es geht nicht darum Gewalt zu verharmlosen oder gar zu leugnen. Es gibt sie. Aber es geht darum, endlich wieder einmal die Relationen zu sehen. Lohnt es sich wirklich, wegen medialer Panikmacherei und übertriebenem Sicherheitswahn etablierte Werte und Grundrechte einzuschränken? Oder gibt es nicht andere Möglichkeiten, die Probleme zu lösen? Überlegen Sie sich kurz, welches ist die bessere Art und Weise einen 16jährigen Fussballfan (Ihr Sohn vielleicht) zu bestrafen, der im Stadion beispielsweise eine Fackel gezündet hat: Ihm ein jahrelanges Stadionverbot und eine saftige Busse aufzubrummen und ihn zusätzlich noch in allen dafür geeigneten Datenbanken einzutragen, um ihm möglichst seine Zukunft zu verbauen? Oder mit ihm zu reden, ihm sein Handeln vor Augen zu führen, ihn – durch Instanzen wie ein Fanprojekt – zu integrieren und ihn seine Schuld durch Fronarbeit (Stadion putzen) abarbeiten zu lassen? Wie würden sie entscheiden? Wie auch immer Ihre Entscheidung ausfällt, eines kann trotzdem nicht schaden: Bleiben Sie stets kritisch und glauben Sie nicht unreflektiert alles, was in der Zeitung steht.