Schreyhals 5

Schreyhals 5

Samstag, 28.05.2005, FC Basel 1893 – Neuchatel Xamax

Anspruch und Wirklichkeit

Heute beenden wir die Saison, in der «der beste FCB-Kader aller Zeiten» uns «Fussball nahe der Perfektion» zeigen sollte, mit der Übergabe des Meisterpokals am Ende der nun folgenden 90 Minuten gegen Xamax Neuchâtel.

Mit diesem «Anspruch» belegten Vize-Präsidentin Gigi Oeri und Trainer Christian Gross unisono zu Beginn der Meisterschaft die Mannschaft und an diesem «Anspruch» scheiden sich die Geister (Fans, Medien) und scheiterte (in gewissem Masse) auch die Mannschaft.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit waren (und sind) nicht nur auf dem Platz Welten! Die Diskrepanz könnte grösser nicht mehr sein als in dieser Saison erlebt und praktiziert von Seiten der Fans (oder auch einfach Zuschauer?) des FC Basel 1893.
Regelmässiges Pfeifen zur Halbzeit trotz Führungen, systematisches auspfeifen von einzelnen Spielern (meist Antipathiebedingt, hin und wieder auch leistungsbedingt), sonstige Unmutsbekundungen und am allerschlimmsten: Das regelmässige Fernbleiben von tausenden von Saisonkarteninhabern (trotz ausverkauftem Spiel Zuschauerzahlen im mittleren 20’000er-Bereich)!!! Bei den aus diesem Verhalten resultierenden Diskussionen fliegen regelmässig die Fetzen und treffen (beinahe) unverrückbare Fronten aufeinander:
– Man pfeift aus Prinzip niemanden in Rotblau aus
– solche die sich liebergolfspielende oder MissWahlenbesuchende Ausnahmen erlauben
– und solche, die sagen, dass es schon immer zu Pfiffen und Unmutsbekundungen kam bei den Fussballspielen und die Spieler damit umgehen können müssen!
und generell rätselt man über das Fernbleiben der «besten Fans der Schweiz».
Zum einen kann man Gründe für dieses Verhalten im Scheitern der Mannschaft an den gar forsch formulierten Ansprüchen seitens der Führungsriege suchen, zum andern kann man auch sagen, dass sich der FCB im Zuge der eigenen (auch ChampionsLeague-bedingten) Kommerzialisierung Fans «gezüchtet» hat, die nur den Erfolg kennen, unterhalten werden wollen und jeden Monat mind. ein Highlight erleben möchten andernfalls verlieren sie das Interesse oder tun halt, ihrem Anspruch an den FCB gemäss, ihren Unmut kund.
Das systematische Auspfeifen hat sich zu St. Jakob zu einer eigentümlichen «Tradition» entwickelt unter der seit der Rückkehr an diese Stätte Tchouga, Koumantarakis, Cantaluppi, Tum und in dieser Saison auch das nächste (nach dem «Abgang» von Massimo und dem bevorstehenden Rücktritt von Barberis) Urgestein in Rotblau Benjamin Huggel zu leiden hatten.
Dazu kommt Teilzeit-Captain Murat Yakin, der bei seiner Einwechslung gegen St. Gallen sich den Unmut vieler der Anwesenden anhören musste. Bei ihm kann keiner eine gewisse Selbstschuld negieren genauso wie Christian Gross seinen Teil dazu beigetragen hat, dass es diesbezüglich und auch im Allgemeinen zu einer pfiffigen Angelegenheit wurde wenn man FCB-Spiele besuchte.
Es gibt festzuhalten, dass diese Segmentierung der Zuschauer in jedem Stadion festzustellen ist und dies einen Teil des Mythos Fussball ist. Ich unterscheide zwei Sorten Zuschauer:
Konsument und Supporter. Der Konsument sieht sich als Käufer des Produktes FCB, er ist relativ objektiv, freut sich zwar, wenn seine Mannschaft gewinnt, aber will guten Fussball sehen. Er ist beleidigt, wenn das Produkt, das er gekauft hat, nicht den vorher angekündigten Standards genügt (Gross‘ «Perfektion»), genauso wie wenn man sauer wird, wenn eine neue Luxusuhr nach 2 Tagen den Geist aufgibt.
Der Supporter sieht auch, dass das «Produkt» nicht den Standards entspricht, aber im Gegensatz zum Konsumenten sieht er sich als Teil des Produktes selbst, weshalb sein vorrangiges Ziel ist, das Produkt mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln (Gesänge, Support) zu verbessern und nicht sein Recht via Reklamation einzuholen. Er sieht sich als Werkzeug im Dienste des Sieges. Er richtet sein Verhalten danach, ob das was er tut, der Mannschaft hilft oder nicht.
Zu Beginn der Erfolge hatten wir ein Stadion mit primär Supportern, die ihre Mannschaft zum Sieg treiben wollten. Heute scheinen gerade Bahndamm und Tribüne mehrheitlich mit Konsumenten besetzt, die die Lieferung des Produktes Sieg (wenn immer möglich, da unterscheiden sie sich nicht von den Supportern) in guter Qualität erwarten und bei Nicht-Lieferung reklamieren. Und wehe, es steht zur Halbzeit erst 1-0 oder so…
Wahrscheinlich ist es aber auch so, dass bei einem Teil der Fans (mich wahrscheinlich eingeschlossen) ein dünner Grat zwischen Liebe (Supporter?) und Hassliebe (Konsument?) zu ihrem Verein besteht («Verdammt ich lieb dich, ich lieb dich nicht!»), der auch durch das schon erlebte (Aufstieg, Mittelmass, Meister, CL) so gewachsen ist. Es gibt FCB Fans, die kommen mit rotblauem Herzblut und wollen guten Fussball sehen. Wenn mal etwas passiert was tolpatschig oder dumm ist, so ärgern sich diese (zu denen gehöre ich), und dann passiert es eben schnell mal das ein Fluch aus dem Mund fliegt. Schliesslich tut es mir weh wenn das passiert. Einige von diesen geben ihren Unmut mit Pfiffen preis, aber eher aus Enttäuschung und nicht um zu beleidigen.
Früher hielt allerdings auch die Kurve nicht mit Pfiffen zurück:
Erinnere mich (un-)gerne an das berühmtberüchtigte Abendspiel unter der Woche vs. Luzern, bei dem in den letzten 8 Minuten eine 3:1 Führung in eine 3:4 Niederlage kehrte Nach diesem Match hallte den Spielern ein schallendes Pfeifkonzert entgegen…
Vor diesem Hintergrund mutet es wohl auch für manchen komisch an, dass heute die Pfiffe derart umstritten sind, es kann jedoch auch der Schluss gezogen werden, dass es nicht sein kann, die ganze Zeit zu schweigen und wenn es mal was zu buhen oder pfeifen gibt Lärm zu schlagen und sich beleidigt von dannen zu machen.
Das Recht zu Pfeifen hat man frühestens dann, wenn man auch ansonsten alles dafür gibt, die Mannschaft nach vorne zu peitschen und auch im Positiven seinen Teil zur Stimmung im Stadion beizutragen!!!