Schreyhals 15

Schreyhals 15

Sonntag 06.04.2008, FC Basel 1893 – AC Bellinzona

Bist Du in Stimmung?

„Dört gege Celtic, Juve und Liverpool isch d Stimmig no richtig geil gsi, nüm z’vrglyyche mit hüt.“ Wer hat solche Aussagen nicht schon zu Ohren bekommen? Stimmen solche Behauptungen wirklich? Wir wollen nun zusammen der Stimmung im Joggeli, welche ein sehr aktuelles Thema und für die Fankultur von essentieller Bedeutung ist, auf den Grund gehen.

Die Stimmung an einem Ort kann sehr subjektiv wahrgenommen werden, wobei viele verschiedene Faktoren für eine entsprechende Wahrnehmung zusammenspielen. Wichtig dabei ist zu beachten, dass viel vom eigenen Gemüt, wie man selber „gestimmt“ ist, abhängt.

Des Weiteren muss definiert werden, was Stimmung überhaupt ist. Man kann bei einer Party von einer guten vorherrschenden Stimmung sprechen ohne dass jemand gesungen hätte. Legt man den Begriff Stimmung also eher in Richtung Ambiente und eigene Motivation aus, kann die obenstehende Behauptung betreffend unserem Champions-League-Märchen durchaus als richtig gewertet werden. Diejenigen FCB-Fans, welche die Möglichkeit hatten an diese Spiele zu gehen, waren wohl bis in die Fingerspitzen angespannt, heisser auf Fussball denn je und da sogar noch Sensationen in der Luft lagen und zum Teil gelangen, wurde natürlich bei diesen Spielen bei jedem Pass an der Seitenlinie derart mitgefiebert, wie es wohl für viele nur an ganz wenigen Spielen in einer Fankarriere überhaupt der Fall sein wird. Jeder Stimmungsfunke wurde schnell von vielen Fans aufgeschnappt und breitete sich innerhalb von wenigen Sekunden auf’s ganze Stadion aus.

Auf diese damalige Stimmung sollten wir FCB-Fans uns jedoch nichts einbilden. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein jeder Fan bei derart historischen und spannenden Spielen mit viel Emotionen dabei war und bei jedem anderen „Wurst und Brot“- Verein hätte dies zu ähnlicher Atmosphäre im Stadion geführt. Man kann sagen, dass der ursprüngliche Funke bei solchen Spielen vom Spielfeld auf die Stadionränge sprang und nicht umgekehrt, wie es normalerweise eher der Fall sein sollte, wenn man sich selber als 12. Mann der Mannschaft bezeichnet.

Geht man näher auf das Gesungene an solchen Spielen ein, wird umso deutlicher, dass unser akustischer Support damals nicht hochgejubelt werden sollte. Ein Gassenhauer nach dem anderen, welcher mehr oder weniger gleich in fast allen Bundesligastadien gesungen wird, wurde nur wenige Sekunden lang auf das Feld geschrieen, bevor es wieder zum nächsten Pfeifkonzert und kollektiven Geraune ging. Sicher hatte vor allem das Emotionale seinen speziellen Flair, nur kann halt nicht jedes Spiel derart grosse Emotionen auslösen und insofern ist es leider klar, dass viele Leute mit Spielen gegen Thun, Oberdorf oder Stade Nyonnais schon aus Prinzip eine „schlechtere“ Stimmung assoziieren und mit weniger Anspannung das Spiel verfolgen, weil halt die eigene Einstellung nicht mehr zulässt.

Ich bin davon überzeugt, dass man aber auch bei solchen Spielen eine sehr gute Stimmung ins Stadion bringen kann. Wichtig dafür ist, dass sich die Freude an aufopferndem Singen für den Verein, auch wenn man sich selber teilweise überwinden muss, bei jedem einzelnen weiterentwickelt und in der Masse verbreitet. Die Muttenzerkurve möchte der 12. Mann der Mannschaft sein und muss mindestens genauso, wenn nicht noch viel intensiver als jeder Spieler versuchen alles zu geben. Auch wenn auf dem Feld alles verloren scheint, so kann man wenigstens die Ehre des Vereins auf den Rängen retten und selber mit der Genugtuung vielleicht sogar als einziger „Mann“ des Teams alles gegeben zu haben nach dem Spiel nach Hause gehen. Sicher gibt es Situationen in denen man aus zu grossem Frust nicht singen kann oder will, dabei muss jedoch gerade bei unserer Erfolgsverwöhnung darauf geachtet werden, nicht zu sensibel auf schlechte Leistungen oder gar „nur“ Resultate zu reagieren, da es ja auch unser Ziel sein sollte die Mannschaft an schlechten Tagen anzutreiben.

Die Entwicklung dieses neu eingeschlagenen Weges des Singens braucht viel Zeit und viele Leute in der Muttenzerkurve müssen vielleicht auch erst Dinge wie die Freude an aufopferndem Singen entdecken, bevor sie ein abschliessendes Urteil über die Stimmung abgeben können. Wir haben mittlerweile ein Liederrepertoire, bei welchem die Melodien nicht mehr jeder Bierzelt-Tourist kennt, allgemein melodiöser sind und diese mit Texten versehen, welche auch Werte und Gefühle zum Ausdruck bringen, welche einige Fans Tag für Tag leben. Vergleicht man diese Lieder mit dem Einheitsbrei, welcher noch zu Champions- League-Zeiten gesungen wurde, kann man sagen, dass wir vermehrt einzigartige Lieder singen und der Anspruch auf Idealismus, Kreativität und Originalität, welcher die Muttenzerkurve besitzt und früher eher bei Choreografien zum Ausdruck kam, diese sich nun auf die wichtigere akustische Unterstützung der Mannschaft niederschlägt. Unser FCB ist einzigartig auf der Welt, wieso sollte seine Fangemeinde dies nicht auch sein?

Gerade viele junge Fans haben solche Lieder für sich entdeckt und können teilweise fast gar nicht mehr in ihrem Singen gestoppt werden, weil sie mit derart viel Fanatismus bei der Sache sind (und das jeden Tag, nicht nur bei den Spielen selber). Genau dieses Gefühl muss erst kennengelernt werden, bevor man die Stimmung abschätzig als „monotones Programm, das lieblos runtergespult wird“, kritisiert. Witzig vor allem, dass dies bei südländischen Fans auch keiner tut, sondern es dort eher noch bewundert wird.

Es kann so viel Freude bringen, wenn man selber und die Leute ringsum eine derartige Aufopferung betreiben, abdrehen und die Lieder über Minuten lang den Spielern auf dem Feld um die Ohren schreien. Hand auf’s Herz, habt ihr euch selber schon mal 90 Minuten ins Delirium gesungen und wart praktisch das ganze Spiel durch mit euren Freunden, mit welchen ihr schon seit vielen Jahren durch den FCB verbunden seid, am Hüpfen und Klatschen, so das ihr nach dem Spiel nicht nur heiser, sondern körperlich richtig fertig seid? Ein unbeschreibliches Gefühl, welches ich jedem Matchbesucher gönnen würde. Man vergisst teilweise tatsächlich, dass eigentlich nur der Kern voll bei der Sache ist und es fällt erst bei einem zufälligen Blick in die Kurve auf, dass man nur noch alleine mitsingt.

Genau diesen Leuten, welche teilweise ihr ganzes Leben für den FCB geben und für die die Freude am Singen im Stadion wie eine Art Entlöhnung für die investierte Zeit und Arbeit ist, welche sie in ihre Liebe stecken, nimmt man diese unglaublich schönen Momente, welche für so viel entschädigen, wenn man nun bei „wichtigen“ Spielen fordert, wieder in alte Muster betreffend Liederwahl zurückzufallen. Notabene, dies alles nur damit für wenige Sekunden auch Leute mitmachen, welche sich nicht derart viele Gedanken über den FCB und dessen Umfeld machen und die Lieder oftmals aus mangelndem Interesse sich zu informieren nicht kennen. Jeder sollte spätestens beim heutigen Verkauf die Gelegenheit gehabt haben eine Lieder CD der Muttenzerkurve „E‘n Urschrey für Blau und Rot“ zu kaufen und kann die neuen Lieder lernen. Wieso sollte man Rücksicht auf Leute nehmen, welche sich nicht mal so viel um die Fankultur des FCB scheren und dies tun? Wir werden auch am heutigen Cupfinal diese Entwicklung nicht abbrechen und nicht mehr Rücksicht nehmen als bei jedem anderen Spiel auch. Nur so können sich die neuen Lieder wirklich ausbreiten und wenn diese dies getan haben und die ganze MK bei „Fuessball das isch unser Lääbe“ mitschreit und mithüpft, wird wohl auch das letzte Gegenargument gegen diese Liederart sich in Schall und Rauch aufgelöst haben.

Sicher gibt es bei der Liederwahl noch einige Dinge zu optimieren und das Liederrepertoire gilt es noch zu erweitern, gerade im Bereiich der sogenannten „Push-Lieder“, wie „schiess e Gool für uns“ oder „lüter singe“. Auch ihr könnt an dieser Entwicklung, neben der Beteiligung an der Stimmung selbst, teilhaben und auch in diese Richtung studieren und selber an Melodien und Texten tüfteln. Entdeckt eure eigene Kreativität und bringt Ideen im Fanprojekt, via info@muttenzerkurve.ch oder im Stadion, damit auch ihr die Entwicklung mitbeeinflussen könnt. Es ist jeder einzelne Matchbesucher selber für die Stimmung verantwortlich und im gleichem Masse aufgerufen mitzuarbeiten, anstatt nur zu kritisieren. Nur wer sein Leben dazu nutzt es einzubringen, kann etwas verändern.

Diese ganze Entwicklung braucht noch viel Zeit, gegenseitiges Verständnis unter allen Sängerinnen und Sängern, die Bereitschaft sein Herz zu öffnen und elementare Dinge wie die Freude am Singen für den FCB neu für sich zu entdecken. Das verändert das eigene Gemüt und dann kann auch bei relativ unspektakulären Spielen eine Stimmung, noch viel besser als bei den Champions- League Partien zurück ins Joggeli finden.